Die Geschichte des Seegeler Heil- und Wunderbronnens

Andrea Auster

altes Bild, Feld im Vordergrund, im Hintergrund ein Landhaus

Auf der Bundesstraße B 186, die von Zwenkau nach Markranstädt führt, gelangt man schon nach wenigen Minuten in den sumpfigen Biotop des Teichgebiets der Elsteraue. Ein Graureiher steht unbeweglich auf einer sattgrünen Wiese. Ich sehe mich um, die Wolkenberge über den Kühltürmen der Olefinverbund GmbH Böhlen sind noch gut zu erkennen. Unweit der Stadt Leipzig, am südlichen Rand der Tagebaukante, liegt eine Landschaft mit Feldern und Auen, die den gierigen Griffen des Bergbaus getrotzt hat. Nach etwa fünf Kilometern an der zweiten Abfahrt biege ich ab, durchquere Zitschen, Löben, Thesau, Sittel und folge der Straße weiter nach Werben. Die dörflichen Siedlungen, Buddeldörfer genannt und früher vom Kirchenstift Merseburg kolonisiert, sind aus der Ferne zwischen den Feldern gut auszumachen. Nach einer engen hügeligen Kurve öffnet sich der Blick auf ein weites Feld. Das Relief ist eben und fällt nach Osten leicht ab. Dazwischen schlängelt sich der wiederbelebte Floßgraben, der seit 1587 Lützen und Keuschberg-Dürrenberg verbindet und ab 1610 durch einen Seitenarm bis in die Stadt Leipzig (Floßplatz) führte. Erst der überhand nehmende Holzdiebstahl zu Beginn des letzten Jahrhunderts verlangte nach alternativen Transportmöglichkeiten und der Wasserweg verjüngte sich allmählich zum Bach. Die Gegend drumherum wirkt unberührt und scheint ihre Ursprünglichkeit mit einer ihr innewohnenden Energie zu verteidigen. Auch die neuere Geschichte hat kaum Spuren hinterlassen.

Gebüde Wunderbrunnen, mit Waldstück dahinter

Links an der Straße von Sittel nach Werben steht ein einzelnes Haus, das nicht bäuerlich aussieht. Das einstöckige Gebäude mit der breiten, einladenden Haustür, die sich zur Straße öffnet, wird von zwei uralten Linden halb verdeckt; die ehemalige „Wasserschenke zum Wunderbronnen“, wie ich später erfahre. Das schmiedeeiserne Tor daneben wird bewacht von zwei Putten, eine hat der Zahn der Zeit kopflos gemacht. Im Innenhof beschattet eine riesige Linde glatt gelaufenes Katzenkopfpflaster und einen Gebäudeteil, der sich in östlicher Richtung anschließt. Dahinter erhebt sich ein waldiger Park mit hohen alten Bäumen und dichtem Unterholz. Ein verwunschenes Gelände, das wohl lange keinen Besucher mehr gesehen hat. Ich gehe den schmalen Weg, der mich etwa hundert Meter weit bis zu einem kleinen, runden Haus begleitet, auf dem ein hölzernes Zwiebeltürmchen thront. Das Türmchen ist neu und eine Tafel an der Außenwand verrät, dass dieses Haus die Quelle beherbergt.

Der Enkel des rührigen Alfred Berger, Dr. Stefan Windau, öffnet die grüne Tür mit den gekreuzten Beschlägen. Im Inneren ist es still und kühl wie in einer Kapelle, gelbes Glas filtert das Tageslicht. Mittig steht eine kleine Kuppel aus weißem Holz und Glas. Darunter ist eine runde Einfassung in den Boden eingelassen, in der vier in Kies gebettete Tonröhren liegen. Ich erfahre, dass hier besonderes Wasser zutage tritt. Hier sprudelt der Wunderbrunnen, und weil das Licht günstig steht, sehe ich auf der Wasseroberfläche das leichte Kräuseln des Drucks aus der Tiefe.
Herr Windau erzählt, dass diese geradezu feierliche Stille keinesfalls typisch für den Wunderbrunnen sei, dass dieses Stück Land im Laufe der letzten dreihundert Jahre Wallfahrtsort, öffentliches Bad, Pilgerstätte für Kranke mit vielerlei Gebrechen und Jahrmarktsplatz in einem gewesen sei, später Mineralwasserabfüllort mit Schenke, noch später Limonadenfabrik und schließlich Domizil für Künstler wurde. Natürlich muss ich das Wasser probieren, gleich an Ort und Stelle. Leicht süßlich schmeckt es, angenehm kühl, herrlich frisch, so, wie ich mir ein stilles Mineralwasser am Quellort vorstelle. Ich horche in mich hinein und warte, welche wundersame Wirkung bei mir eintritt, doch Herr Windau lacht nur und meint, damit müsse man Geduld haben und ich sei ohnehin gesund.

Dann führt er mich ins Haus und zeigt mir, was sich an Kuriositäten seit dem Erscheinen der Quelle alles angesammelt hat. Das Brunnenarchiv füllt mehrere Räume. Es finden sich meterhohe Aktentürme in feinstem Sütterlin beschriftet mit Jahrgängen, Kunden, Rechnungen, Konten und Lohnbuchhaltung. Daneben stehen Kisten, in denen wild gemischt allerlei Papiere, Etiketten verschiedener Größen und Farben, Fotos und Briefwechsel aufbewahrt sind. Dieses Sammelsurium entstand beim Entrümpeln der Wasserschenke und wurde noch nicht gesichtet. Ich darf meinen Entdeckerdrang ungebremst ausleben und überall hineinschauen. Schließlich packe ich eine Kiste aus. Historie ohne Archivnummern und Bibliothekar, alles darf ich berühren und ich blättere vorsichtig in staubigen gelben Papieren.

Zunächst eine maschinengetippte Abschrift. Diese Niederschrift des Bürgers Gustav Wetzel aus Pegau vom 25. September 18731 beschreibt den ersten Ausbruch des Wunderbrunnens im Mai 16452 schon damals wird er als Gesundheitsbrunnen bezeichnet. Das Wasser entsprang zunächst auf dem blanken Acker, was ihm wohl den Namen „Wunderbronnen“ einbrachte, noch bevor mutige Probanden seine Heilkraft erprobten. Zudem galt die Gegend um das Westufer des eiszeitlichen Elstertales als sehr wasserarm. Der zweite Ausbruch wird 16643 berichtet. Der dritte im Jahre 1677 muss so bedeutend gewesen sein, dass er in Stein gehauen wurde, denn im Quellhaus findet sich eine steinerne Tafel mit folgender Inschrift:

Im Monat July. Ist der Gesundheitsbrunnen bey Werben im Felde wieder entsprungen an dem Orte wo er 1664 auch gewesen, welcher Brunnen dermassen einen Ruf bekommen dass er Blinde, Scharboc und Kraetzige Leute curieret, deswegen er weit im fremden Lande ist geführt worden, bey welchen Brunnen im Monat July eine Predigt von Johann Knöcher, Pfarrer zu Hohenlohe ist gehalten und nachgehend täglich Betstunden bis zum Ausgang des Oktober gehalten worden, es sind täglich sehr viele Leute und eine rechte Niederlage da gehalten worden, das man alle Tage eßende Waren und andere Bedürfnüße bekommen können.4

Ein amtlicher Erlass aus Lützen vom 1. August 1677 erwähnt,

dass viele Leute aus umliegenden Orten sich unterzogen, allerhand Näschereien und den Hülfe-suchenden schädliche Speisen öffentlich feil zu halten, durch deren Geniessung „rote Ruhr“ und andere Zufälle entstehen könnten und befehligt daher den Amtsfrohn, denen, so Kirschen, Pflaumen, Birnen, Äpfel, Gurken, Häringe und dergl. undienliche Speisen feilböten, anzudeuten und sie […] bestraft werden sollten (Jacob 10).

In jenem Jahr 1677 muss es Tausende zum Wunderbrunnen gezogen haben, denn im Sonderdruck aus der Osternummer 1927 der Leipziger Neuesten Nachrichten heißt es:

Man badet, man trinkt, man fährt das Wasser in Fässern von dannen, um auch in ferner Heimat seinen Segen zu genießen. Fürsten und Adlige, Bürger und Bauern sind zu ihm gepilgert. An den Hof von Dresden, an das Hochstift von Merseburg wird amtlich berichtet. Der Kurfürst selbst teilt Stipendien aus, um auch Ärmeren die Reise zum Wunderbrunnen zu ermöglichen (vgl. Lange).

Eine wahre Pilgerkolonne muss sich auf den Weg zum Wunderbrunnen gemacht haben und mit ihr reiste die Kunde der wundersamen Heilungen, die sich hier zugetragen haben. Es existieren mehrere Verzeichnisse, die jeden Einzelnen aufführen, der öffentlich danken ließ (und dessen Groschen in die Almosenbüchse wanderte). Die Aufstellung der geheilten Gebrechen ist beeindruckend und umfänglich und ich erfahre, dass bereits

Domenica 13. post Trinit. Anno 1646 als den 23. August Nro. 19., Hanns Eckert, Zimmermann zu Lützen. Blasenstein – vergangenen Freytag wie Mohnkörnen graulicht von ihm gegangen.
Domenica 14. post Trinit. Anno 1646 Nro. 4 ., Eine arme Magd von der Sitte. Schwärende und flüssige böse Augen.
Nro. 7., Maria, Christoph Bussens Witwe zu Leipzig, 20 Jahre an innerl. Reißen und Stechen ihres linken Schenkels gelegen.

Ein „Neu vermehrtes Register, derer so gesund geworden“ von 1677 (vgl. Lange) schreibt, dass:

2., Ein Krüppel von Querfurt, welcher viel Jahr sich von Dorf zu Dorfe führen lassen, der ist an der Naumburger Peter Pauls-Messe, wiewohl ungedankt, vom Brunnen gegangen.
19., Ein Priester, welcher 7 Jahr sich einer Brille bedienen müssen, nun kann er ohne Brille lesen.
20., Eine Person ist von der Krätze befreit worden.
47., Ein Mägdelein, welche die Sommersprossen vergangen.

Nur zu gern wüsste man, was drin ist in jenem Zauberwasser, doch die Analyse des Pegauer Apothekers Helbig von 1852 ist unspektakulär: […] es ohne Geruch und Geschmack gefunden. Helle, ohne Gasgehalt, hat 1000 Gram d.W. hinterlassen beim Abdämpfen blos ¼ Gram trockenen Rückstand, aus Kohlen, und schwefelsaurer Kalk, salzsauren Natronsalz und schwefelsauerer Magnesia und Kieselerde bestehend. Der Ursprung der Quellen ist in der großen Nähe des Bodens zu finden (Pegauer Heimatblatt 4). Viele „Lendensteine“ verließen ihre Träger vermutlich, nachdem diese sich einer ordentlichen Trinkkur und durch die weite Wanderung ausreichend Bewegung unterzogen, ein Verfahren, das bei kleinen Steinen noch heute Anwendung findet. Was jedoch die Sommersprossen erblassen ließ und die Augen des Priesters schärfte, bleibt ein Geheimnis.

1677 ergoss sich das Wasser in zwölf Quellen und wurde auf Befehl des Herzogs Christian von Merseburg in Röhren gefasst. Der Amtsschösser berichtet ihm, er habe: […] alle vorhandenen Quellen […] mit Spündbrettern bedecken und mit Erde wieder beschütten und alle derselben Abläufe in soviel Röhren gefaßt, das selbige letztlich in zwei Röhren ihren Abfall in den Kasten […] laufen. Dieses Wasser ist rein und klar und wird in großer Menge in Lägeln und Tonnen abgeführt. […] Nach Aussage vieler Leute hat dieser Bronnen durch Gottes Gnade Viele curieret (Jacob 11).

Weniger begeistert zeigt sich der Bauer, auf dessen Acker die Wunderheilungen sich ereignen. Er beschwert sich beim Amtsschösser, dass er: „[…] an der auf dem Acker gestandenen Hirse […] aufs meiste 2 Thlr. Einbusse habe, die ihm an Getreide von dem amtlichen Kornboden gut gethan werden könnten“ (Jacob, 811). Zwei seiner Nachbarn beklagen Einbußen an Erbsen und Korn und dem Herzog wird gehorsamst anheim gegeben, ob er diesen Leuten auch einige Ergötzlichkeit wolle genießen lassen. Auch der Pfarrer Knöcher beschwert sich beim Amtsschösser, denn„[…] er habe zwar 15 Wochen am Brunnen Betstunden gehalten, darauf aber nicht mehr als 6 Thlr. und der Schulmeister 4 Thlr. 12 Groschen aus der Büchse empfangen […] er bittet für sich und den Schulmeister um Auszahlung des Rückstandes […]“ (Jacob 16).

1678 versiegten die Quellen allmählich und mit ihm der Strom der Kranken und Gebrechlichen. In den Kirchenbüchern der Kirche zu Hohenlohe findet sich in den Zeiten sprudelnder Quellen regelmäßig eine große Zahl bestatteter Personen, die nicht in der näheren Umgebung wohnten. Das dürften all jene Pilger sein, für die der Brunnen nicht heilkräftig genug war oder die den Anstrengungen der weiten Reise nicht gewachsen waren und in den Herbergen der Bauern verstarben. Zurück blieben verwüstete Äcker, über die der Beamte Kirsten 1679 folgenden Bericht erstattet:  […] der vor zwei Jahren unweit Werben entsprungene Gesundbrunnen wiederum vertrocknet. Thüre und Bretter des Verschlages darum, wie die Hütte für die Armen und Kranken von bösen Leuten gestohlen seien, die Besitzer der Äcker auch solche zum Gebrauche gerne wieder frei haben wollten (Jacob 18). Dann ist es eine ganze Weile still um den Wunderbrunnen.
Herr Wetzel aus Pegau berichtet 1873 weiter: Den 10. September 1704 ist der Gesundbrunnen bey Werben wieder entsprungen welcher schon vorher 1645 auch hervorkommen, und hat durch Gottes wunder bahre Kraft vielen Menschen zu ihrer Gesundheit geholfen.5 1748 und 1852 trat das Wasser erneut hervor, und der Seegeler Acker wurde zum Mekka der Kranken. Besonders 1852 war viel Volk unterwegs, denn die Gasthöfe und Privathäuser waren von Fremden angefüllt. In langen Reihen zogen die Wagen mit Tonnen dahin. Die holten das Wasser nach Leipzig, Merseburg und anderen Orten. Der Brunnenplatz war in einen Jahrmarkt verwandelt. Schaubuden, Karussels, Schauzelte und Kaffeebuden, alles war vertreten. Konzerte sorgten für Zerstreuung und angenehmeren Aufenthalt (vgl. Lippold).

Doch auch diesmal versiegte der Quell nach kurzer Zeit wieder und Anfang August, nach 13 Wochen, war das heilkräftige Wasser verschwunden. Der Acker wurde wieder bestellt und muss in jenen Jahren von der Familie Berger erworben worden sein. Karl Friedrich Berger, der Ururgroßvater des heutigen Besitzers, baute Korn und Erbsen darauf an, als 1898 der „Gute Born“ wieder an mehreren Stellen zu sprudeln begann. Diesmal blieb der Ansturm Heilungswilliger aus, und der Bauer Berger sorgte dafür, dass die Segnungen des Wunderwassers, das auf seinem Feld entsprang, nunmehr auch seinen Geldbeutel einschlossen.
Sein Sohn, Theodor Berger, erbaute das Haus an der Straße nach Werben, ließ den Quell im Brunnenhaus fassen und füllte das sprudelnde Nass in Flaschen. „Seegeler Heil- und Wunderbronnen“ nannte er sein Produkt, für das er kräftigst warb, wovon verschiedene Anzeigen und Etikettenvarianten künden. Auf Anraten der zuständigen Behörden in Merseburg eröffnete er die Wasserschenke, eine alkoholfreie Gaststätte im Haus an der Straße nach Werben. Hier gab es selbstgebackenen Kuchen aus dem Backofen hinterm Haus, Wasser, Limonaden und Kaffee, kleine Spirituosen und Zigarren. Von nah und fern kamen Gäste mit dem Fahrrad, zu Fuß und selbst auf knatternden Motorrädern, um im sonnigen Hof oder im Schatten des Parks das „Gesundheits-Tafelwasser“ oder das „Edelgetränk mit dem unübertroffenen Citrine-Geschmack“ zu schlürfen.

Ab 1918 übernahm Theodors Sohn Alfred Berger die Geschäfte. Mit ihm gelangte das Unternehmen Wunderbronnen schließlich zur Blüte, denn Alfred besaß nicht nur einen ausgeprägten Geschäftssinn, in ihm floss Künstlerblut. Er besuchte jahrelang in Leipzig Seminare der Bildhauerei und der Malerei und erhielt dort Beurteilungen, die ihm eine glänzende Zukunft prophezeiten. Gerüstet mit dieser Gabe, einem Hang zur Selbstinszenierung (seine Seegeler Nachbarn nannten ihn liebevoll den „Wassergott“) und großem technischem Interesse widmete er sich dem Familienunternehmen. Er entwarf Briefpapier und Werbeschriften, Etiketten, Flaschen, Kronenverschlüsse und bemalte eigenhändig die Lieferfahrzeuge, die den Bronnen von der Abfüllanlage zum Kunden brachten. Ob mit „o“ oder später mit „u“ geschrieben war wohl eine philosophische Frage, es finden sich im Dunkel des ehemaligen Flaschenbodens kleine Bügelflaschen aus klarem Glas mit Alfred Bergers Namenszug: er schrieb noch „Bronnen“, später verschwand sein Name vom Bauch der Flaschen und das „o“ wurde durch ein „u“ ersetzt.
Alfred Berger zog mit seinem Wunderbrunnen auch auf die Leipziger Messe, wo er sogar einen Preis für die Gestaltung des eigenhändig dekorierten Messestandes gewann. Der Brunnen, mit dem er damals in Leipzig Aufsehen erregte, ist etwa mannshoch und aus weißem Gips gefertigt. In der Mitte der Brunnenschale steht auf einem Sockel eine Putte, die einem Fisch, trägt, der aus dem Maule Wasser speien konnte. Die Nachfrage wuchs stetig. Die Gasthäuser in den Nachbarorten bis hin nach Leipzig, Merseburg und im Mühltal verlangten nach dem Bronnen, viele Privatkunden finden sich im Register und man kam kaum nach mit der Abfüllung des Wassers. In der Leipziger Theresienstraße wurde zur Erleichterung der Belieferung ein Zwischenlager eingerichtet.

Alfred Berger ließ bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eine vollautomatische Abfüllanlage installieren, die eine Kapazität von dreitausend Flaschen pro Stunde besaß. Es stellte sich heraus, dass sein Tafelwasser nicht nur sehr rein und eisenarm aus dem Boden sprudelte und keiner weiteren Aufbereitung bedurfte, es war zudem auch ungewöhnlich keimarm und daher lange haltbar. So kam es, dass auch die deutschen Seenotrettungsdienste sich in seiner Kundenkartei finden und mit Wunderbronnen beliefert wurden. Alfred Bergers jüngere Tochter, Frau Dr. Hannelore Windau, berichtet, dass selbst General Rommel seine Truppen mit Wunderbronnen ausrüstete, als er nach Afrika auszog. Tatsächlich findet sich im Archiv ein „streng geheimer“ Briefwechsel zwischen der Firma Alfred Berger und den Ersatzverpflegungsmagazinen der Deutschen Wehrmacht in Leipzig und Halle, datiert auf den Frühsommer 1942. Hierin wird detailliert beschrieben, wie die „Einheitskiste für Mineralwasser“ zu fertigen sei, damit möglichst viel Flaschen in diesem stabilen Holzcontainer Platz finden. Insgesamt wurden 30.000 Flaschen Mineralwasser in zwei Einzellieferungen zu je 15.000 Flaschen an das Ersatzverpflegungsmagazin Halle, Waggonnummer 277971 und Hannover 31466 ausgeliefert. Die sorgfältige Konstruktion der Transportkisten, deren Bauanleitung allein eine ganze, einzeilig beschriebene Schreibmaschinenseite umfasst, die sich heute im Privatbesitz der Familie Windau befindet, könnte ein Hinweis für einen geplanten Transport über weite Strecken (Verschiffung/Ausfliegen?) sein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Alfred Bergers Firma genau diese Lieferungen zum Verhängnis, denn das Leergut kehrte, wie das vieler ziviler Lieferungen, nie zurück, wurde jedoch als Betriebsvermögen geführt. Ein Passivvermögen, das es nicht wirklich gab, auf das der DDR-Staat jedoch Steuern erhob, 70.000 Mark der DDR, die Alfred Berger nicht zahlen konnte. Damit war der Betrieb über Nacht hoch verschuldet, ohne Schulden gemacht zu haben und wurde Anfang der 1960er Jahre unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt, denn eine staatliche Beteiligung lehnte Alfred Berger ab. Entgegen jeder ökonomischen Logik, aber in Übereinstimmung mit der DDR-Ideologie, verschwand die automatische Abfüllanlage. Von ihrer Existenz zeugen heute noch eine Unzahl schwergewichtiger Metallobjekte, die Alfred Berger zumindest sichern ließ.

Doch die Bewohner des Wunderbronnens sind bekannt für ihre Zähigkeit. Alfred Bergers jüngere Tochter Hannelore bemühte alle nur denkbaren staatlichen Institutionen und erreichte mit Bergerscher Hartnäckigkeit nach jahrelangem Kampf, dass die Schulden nach und nach gestrichen wurden. Nur so konnten die Gebäude und das Gelände später an die Töchter übergehen, denn mit der Steuerschuld hätten Hannelore und Theodora das Erbe ihrer Vorväter nur ausschlagen können. Von 1978 bis 1987 bewirtschaftete der „KONSUM“ (die Lebensmittelkette der DDR) schließlich den Quellbetrieb und ließ Limonade und Cola herstellen. Die Wasserqualität war noch immer so gut, dass nach damals geltender Einstufung dem Brunnenwasser 98 von 100 Qualitätspunkten zuerkannt wurden und dem Wunderbrunnen damit 2 Punkte zu der Anerkennung als Heilquelle (!) fehlten. Auch die Schüttung blieb unverändert stark, denn trotz der hohen Abnahme senkte sich der Wasserspiegel selten um mehr als zwei Zentimeter.

Schließlich finde ich in meiner Historienkiste auch dafür eine wissenschaftlich schlüssige Erklärung in dem Band „Zur Geologie des Seegeler Wunderbronnens“ von Herrn W. Morgeneyer, der in der DDR für die hydrologische Kartierung im Raum Leipzig verantwortlich war. Er erklärt das Phänomen so: Westlich des Floßgrabens […] besteht der obere Grundwasserleiter im Liegenden aus der Elster-2-Grundmoräne aus dem […] Schmelzwassersandhorizont und aus unmittelbar darunter liegenden tertiären Feinsanden. Pleistozäner und oberster tertiärer Grundwasserleiter stehen also dort in hydraulischer Verbindung. Die Elster-1-Grundmoräne ist hier nur noch in wenigen Erosionsresten erhalten geblieben. Das in diesem Grundwasserleiter von Osten strömende Grundwasser tritt über den südlich von Sittel am Hang ausstreichenden Schmelzwassersandhorizont als Quelle, zeitweise sogar als Quellenband, an der Erdoberfläche aus, da offenbar die tertiären Feinsande im Liegenden der hier mächtigen Elster-1-Grundmoräne eine sehr geringe Wasserdurchlässigkeit besitzen und daher nur geringe Wassermengen abzuleiten im Stande sind. Der Sandhorizont zwischen den beiden Elstergrundmoränen scheint eng begrenzt und nur lokal durchgehend bis zur Erdoberfläche verbreitet zu sein, meist zusätzlich noch durch Löss überdeckt. Dadurch erklärt sich das nur verhältnismäßig eng begrenzte Auftreten der Quellen in Vergangenheit und Gegenwart und das oft jahrelange Verschwinden (Abdichtung der Quellenaustritte durch Löss oder Lehm). [...] Das unterirdische Einzugsgebiet der Quelle, in welchem durch Versickerung der Niederschläge die Grundwasserneubildung erfolgt, erstreckt sich in westlicher Richtung bis maximal wohl 2,5 km westlich des „Wunderbronnens“. Der Grundwasserleiter ist fast durchgehend mit über fünf Meter mächtigen, schwach wasserdurchlässigen Schichten bedeckt, sodass nur ein geringer Teil der Niederschläge versickern kann. Aus der zeitweise recht bedeutenden Schüttung der Quelle kann geschlossen werden, dass sie die unterirdischen Zuflüsse aus einem relativ großen Einzugsgebiet erfasst. Eine hydraulische Verbindung zum Floßgraben ist in diesem Gebiet aufgrund der mächtigen Grundmoräne wenig wahrscheinlich, und auch wegen des geringen Eisengehaltes der Quelle nicht anzunehmen. Die im Floßgraben abgeleiteten Grubenwässer vom Tagebau Profen weisen dagegen einen sehr hohen Eisengehalt auf. Wie aus zwei Wasseranalysen von 1923 und 1959 hervorgeht, handelt es sich bei dem Quellwasser um einwandfreies Trinkwasser, das keiner Aufbereitung bedarf. […] Es bietet die besten Voraussetzungen für die Herstellung von natürlichem Tafelwasser, da es nur noch mit Kohlensäure versetzt werden braucht. (Morgeneyer 169). Der Pegauer Apotheker lag also schon 1852 richtig mit seiner Analyse und seinen Vermutungen zur erdbodennahen Herkunft des Wunderwassers.

Seit der „KONSUM“ die Produktion einstellte, wird das Brunnenwasser nicht mehr kommerziell genutzt. Frau Hannelore Windau ließ Betriebsteil und Gelände beräumen und sanieren, mit Kreditmitteln umbauen und es entstand ein naturnahes Domizil mit Atelierräumen für bildende Künstler, das das Kulturamt der Stadt Leipzig von 1995 bis 2005 mietete. Mit Mitteln des Denkmalsschutzes konnte von 1995 bis 1997 das Quellhaus etappenweise saniert werden und die nächste Generation der Bergers arbeitet seit zwei Jahren unter der Regie von Alfreds Enkel, Stefan Windau, nun daran, Wasserschenke und Gelände wieder instandzusetzen und mit Leben zu füllen. Die Quelle sprudelt seit 1898 bis heute mit nur wenigen kurzen Unterbrechungen mit erfreulicher Beständigkeit.


1,5 Maschinengeschriebene Abschrift aus: Kühn. Chronik für Pegau. 1852. Privatbesitz der Familie Windau.
2 Urkunde aus dem Turmknopf von Werben.
3 Sächsische Kirchengalerie. Ephorie Borna. Leipzig, 1906.
4 Originaltext der beiden Steintafeln im Quellhaus.

Literatur
Neue Sächsische Kirchengalerie, Ephorie Borna. Leipzig, 1906.
Jacob, Hermann. Urkundliche Mitteilungen über den ehemaligen Gesundbrunnen im Kirchspiel Hohenlohe den im Amte Lützen in den Jahren 1646, 1677, 1704 und 1748 darüber ergangenen Acten entnommen, und mit den Worten des Originals, nur nach jetziger Rechtschreibung verändert, in gedrängtem Auszug wiedergegeben. Pegau, 1852.
Knöcher, Johann. Neues Wunder – Bethesda v. Hohenloischer Heil- und Wunder-Brunnen. Merseburg, ca. 1646.
Lange, Walter. "Osterfahrt ins Osterland" Sonderdruck aus der Osternummer 1927 der Leipziger Neuesten Nachrichten. Leipzig, 1927.
Stadtverwaltung Pegau, Hg. Pegauer Heimatblatt 3/98 (1998), 4.
Lippold, Alfred. "Der Gesund- und Wunderbrunnen von Seegel". Heimatblätter der Dürrenberger Zeitung (o.J.).
Morgeneyer, W. "Der sogenannte Seegeler Wunderbronnen: ein geologisches Naturdenkmal mit kulturgeschichtlicher Bedeutung". Abhandlungen und Berichte des Naturkundlichen Museums 'Mauritianum' Altenburg 7 (1972), 169.